Sascha Lobo: NSA-Programme sind Sicherheitsesoterik

Andreas Frischholz
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Es geht nicht um Internet-Überwachung, sondern Welt-Überwachung mit dem Internet“ – so beschreibt Sascha Lobo das Ausmaß der NSA-Überwachung in einer „Rede zur Lage der Nation“ auf der re:publica 2014. Ein Jahr nach den ersten Enthüllungen von Edward Snowden lautet sein Fazit: „Das Internet ist kaputt.

Bei der Überwachungsinfrastruktur von der NSA und weiteren Geheimdiensten handele es sich um einen veritablen Angriff auf die Gesellschaft. „Das Ausmaß dieser Affäre – die keine Affäre ist, sondern ein Meteoriteneinschlag ins Internet – ist kaum zu erfassen“, so Lobo. Das vermeintliche Sicherheitsversprechen ist laut Lobo nur vorgeschoben: „Denn spätestens seit Heartbleed ist klar, dass diese Leute vorgeben, für Sicherheit zu kämpfen. Und dabei tatsächlich das Netz und die Welt weniger sicher machen.“

Daher sei es falsch, die „Radikal-Überwachung“ als Sicherheitspolitik zu bezeichnen. Bislang wäre noch nicht mal klar, ob die zahlreichen Überwachungsprogramme überhaupt etwas bewirken. Es handele sich vielmehr um „Sicherheitsesoterik“. Dementsprechend müsse man die Befürworter der Überwachungsprogramme in der öffentlichen Debatte brandmarken. Begriffe wie „Überwacher“, „Späh-Radikale“ und „Fanatiker“ sind laut Lobo besser geeignet, um die Radikalität der „Totalüberwachung“ zu verdeutlichen.

Kein Verständnis hat Lobo für die Bundesregierung: „Ich halte es für eine Unverschämtheit, für eine Katastrophe, was im Moment mit der Nicht-Aufklärung des NSA-Skandals, des Späh-Skandals, des Überwachungsskandals passiert.“ Besonders verärgert ihn die „Third-Party-Rule“, von der der Spiegel am Wochenende berichtet hatte. Demnach dürfen ausländische Partnerdienste wie NSA und GCHQ mitbestimmen, ob der NSA-Untersuchungsausschuss von der Bundesregierung bestimmte Informationen erhält.

Same procedure as every year: Die Netzgemeinde hat es vermasselt

Deutliche Kritik richtet Lobo an die Netzgemeinde: „Das Internet ist euch offensichtlich einfach nicht genug Wert.“ Projekte wie Netzpolitik.org und die Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft erhalten zu wenig Spenden. Als Beispiel nennt er den Sammelband „Überwachtes Netz: Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte“ von den Netzpolitik.org-Autoren rund um Markus Beckedahl. Nach der Veröffentlichung im November stand das E-Book zunächst kostenfrei zum Download bereit, allerdings wurde im Gegenzug um Spenden gebeten. Doch das Ergebnis war offenbar ernüchternd: Obwohl der Sammelband 70.000 Mal heruntergeladen wurde, blieben die Spenden auf dem Niveau der Monate zuvor.

So haben die Netzaktivisten nur wenig Spielraum, um die Lobby-Arbeit gegen Internet-Überwachung und für Themen wie etwa die Netzneutralität zu betreiben. Dass diese Arbeit Früchte trägt, zeigte kürzlich die Abstimmung über Netzneutralität im EU-Parlament. Dennoch hält Lobo fest: „Sie sind wenige und schlecht finanziert, weil die meisten von euch offenbar glauben, dass wenn sie eine Petition twittern, dass das irgendjemanden im EU-Parlament ernsthaft interessiert.“ Dass das EU-Parlament für eine strikte Regelung der Netzneutralität gestimmt hat, sei aber ein Verdienst der „harten Arbeit von wenigen, schlecht finanzierten Leuten“. Diese haben frühzeitig den Kontakt zur Politik gesucht, Artikel sowie Informationsmaterial bereitgestellt und sind zudem regelmäßig zu Hintergrundgesprächen mit Abgeordneten gereist.

In der Regel findet solche Arbeit im Hintergrund statt. Mehr mediale Aufmerksamkeit – und somit kurzfristig auch deutlich höhere Spendenbeiträge – erhalten hingegen Gruppen, die kurz vor einer entscheidenden Abstimmung eine Petition mit zig tausend Unterschriften organisieren. Ein knalliger Effekt, der am Ende aber wenig bringen würde, wenn andere nicht im Vorfeld die „tatsächliche Arbeit“ erledigen würden. Denn in der Politik, so Lobo, zähle vor allem Konstanz und Beharrlichkeit.

Lösung: Marsch durch die Institutionen

Von der Netzgemeinde fordert Lobo, stärker gegen das Ausmaß der Überwachung zu protestieren. Wenn selbst die Netzgemeinde sich binnen fünf Monaten gelangweilt abwendet, hätten die Befürworter der Überwachungsinfrastruktur leichtes Spiel und könnten die Enthüllungen entspannt aussitzen.

Um das zu verhindern, müsse sich die Netzgemeinde nach Ansicht von Lobo stärker vernetzen, um strukturierter und organisierter agieren zu können. Als Vorbild könne die Umweltschutzbewegung dienen, selbst wenn Netzaktivisten dann derselbe „Marsch durch die Institutionen“ droht, wie es bei den Grünen ab den 1980er Jahren der Fall ist.

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